Gegenüberstellung Conjoint-Analyse und direkte (kompositionelle) Nutzenmessung

(Auszug aus Melles, T. (2001). Framing-Effekte in der Conjoint-Analyse. Ein Beispiel für Probleme der Merkmalsdefinition (S. 15-19). Aachen: Shaker.)

direkte Nutzenmessung

Conjoint-Analyse

 

Der kompositionelle Ansatz der direkten Nutzenmessung

In der entscheidungstheoretischen Literatur werden zahlreiche Verfahren zur direkten Messung von Nutzenfunktionen diskutiert, durch die sich auf kompositionellem Wege der Nutzen von Optionen bestimmen läßt. Übersichtsarbeiten liegen etwa von Huber (1974) und Farquhar (1984) vor. Darüberhinaus gibt es einige Arbeiten, die diese Ansätze mit indirekten, dekompositionellen Verfahren vergleichen. Bateson, Reibstein und Boulding (1987) sowie Sattler und Hensel-Börner (1999) geben einen Überblick zu mehreren Vergleichsstudien. Eine abschließende Beurteilung dieser Vergleiche ist allerdings schwierig, da die kompositionellen Verfahren eine ebenso methodisch heterogene Gruppe darstellen wie die dekompositionellen Verfahren. Dieser Umstand wird bislang leider zu wenig berücksichtigt. Anhand des kompositionellen Ansatzes von Srinivasan (1988) lassen sich beispielhaft die wesentlichen Merkmale kompositioneller Ansätze sowie deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede verdeutlichen:

Allgemein erfolgt die Nutzenmessung beim kompositionellen Verfahren in mehreren (zumeist zwei oder drei) Schritten. Beim Ansatz von Srinivasan (1988) identifizieren die Probanden zunächst „nicht-akzeptable“ Attributstufen. Diese werden gestrichen und im weiteren Interviewverlauf nicht mehr berücksichtigt. In vielen anderen kompositionellen Ansätzen wird darauf verzichtet (z.B. Huber, 1974).

Anschließend wird der Nutzen einzelner Ausprägungen pro Merkmal und die Wichtig­keiten der Merkmale bestimmt. Der Gesamtnutzen einer Option wird durch die additive Verknüpfung der gewichteten Nutzen ihrer Eigenschaften determiniert. Um den Nutzen der einzelnen Ausprägungen zu messen, wird zunächst die beste und die schlechteste Konsequenz pro Merkmal ermittelt. Anschließend werden die übrigen Konsequenzen den Präferenzen entsprechend geordnet. Danach werden den einzelnen Konsequenzen reelle Zahlen zugeordnet. Die beste Konsequenz erhält üblicherweise den Wert 100, die schlechteste den Wert 0, die übrigen Konsequenzen dazwischenliegende Werte. Durch die Verankerung der Skalenendpunkte (0 und 100) werden zum einen Floor- und Ceilingeffekte weitgehend ausgeschlossen, zum anderen wird das Risiko vermindert, daß Probanden bei ihren Einschätzungen die Beurteilung der Ausprägungen und die Wichtigkeiten der Merkmale konfundieren. Geschieht dies, kann es vorkommen, daß die Urteile für wichtige Attribute relativ extremer sind als für unwichtige (vgl. Wilkie & Pessemier, 1973).

Bei der Messung der Merkmalswichtigkeiten wird zunächst das wichtigste Merkmal bestimmt und dient als Ankerpunkt für weitere Einschätzungen. Dieses erhält einen Wert von 100. Ein Wert von 0 bedeutet, daß ein Merkmal unwichtig ist; die übrigen Merkmale werden im Verhältnis dazu eingeschätzt. Die Wichtigkeit definiert Srinivasan als die Wichtigkeit des Unterschiedes zwischen der besten und der schlechtesten Ausprägung eines Attributs, die der Proband zuvor beurteilt hat. Dadurch ist die Wichtigkeitseinschätzung an der tatsächlichen Bandbreite des Attributs orientiert und vermeidet Fehleinschätzungen, die aus begrifflichen und konzeptuellen Mißverständnissen entstehen (vgl. Abschnitt 4.8.2 ). Kompositionelle Verfahren bei denen die Einschätzungen der Wichtigkeiten nicht an der Bandbreite des Attributes orientiert sind, findet man beispielsweise bei Huber (1974) und Green (1984).

Empirische Untersuchungen zeigen, daß die Beurteilungen der Ausprägungen in hohem Maße zuverlässig sind. Green, Krieger und Agarwal (1992) berichten eine Retestreliabilität von r = .9 (N = 51). Dagegen weisen die Attributwichtigkeiten bei der gleichen Stichprobe lediglich einen Koeffizienten von r = .48 auf. Probanden überschätzen bei direkten Einschätzungen häufig die Wichtigkeit weniger relevanter Merkmale (Shepard, 1964). Aufgrund der methodischen Unterschiede zwischen den kompositionellen Verfahren sind allerdings auch große Unterschiede bei der Genauigkeit der Wichtigkeitsmessung zu erwarten. Ungeachtet dieser Unterschiede weist die direkte Nutzenmessung gegenüber der Conjoint-Analyse einige Vorteile auf:

Der dekompositionelle Ansatz

Im Unterschied zum Ansatz der direkten Nutzenmessung ist das Vorgehen bei der Conjoint-Analyse dekompositionell. Der Kerngedanke, globale Gesamturteile in Einzelurteile zu dekomponieren, unterscheidet sich von dem klassischen Erwartungswert-Modell der Entscheidungstheorie, demzufolge sich das Gesamturteil kompositionell aus den Einzelbeurteilungen zusammensetzt. Gemeinsam ist beiden Vorgehensweisen, daß Annahmen über die Verknüpfung der Einzelurteile erforderlich sind.

Bei dekompositionellen Verfahren wird aus holistischen Beurteilungen komplexer, multiattributiver Stimuli auf den Nutzenbeitrag der einzelnen Eigenschaften dieser Stimuli geschlossen. Dieser Dekomposition liegt ein Nutzenkonzept zugrunde, demzufolge sich für die Attribute wie auch für die Konzepte eine gemeinsame Urteilsdimension – nämlich der Nutzen – definieren läßt. Dabei wird zumeist von einer linear-additiven Verknüpfung der Nutzen einzelner Attribute (sog. Teilnutzen) zum Gesamtnutzen eines Konzeptes ausgegan­gen. Somit lassen sich Nachteile auf einem Attribut durch Vorteile auf einem anderen Attribut ausgleichen bzw. kompensieren. Der Ansatz der Conjoint-Analyse weist im Vergleich zur direkten Nutzenmessung einige Vorzüge auf:

Die Vorteile der Conjoint-Analyse lassen vermuten, daß das Verfahren gegenüber der direkten Nutzenmessung, die überwiegend praktische und erhebungstechnische Vorzüge bietet, zumindest bei einer geringen Anzahl von Merkmalen zu valideren Messungen führt. Inzwischen wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die sowohl die Validität als auch die Reliabilität beider Verfahren vergleichen. Sattler und Hensel-Börner (1999) kommen in einer Synopse von 14 Studien, in denen sowohl traditionelle Vollprofil-CAn als auch hybride Verfahren mit der direkten Nutzenmessung verglichen wurden, zu dem Ergebnis, daß es keine empirischen Hinweise für die Überlegenheit des dekompositionellen Ansatzes gibt. Während einige Autoren Diskrepanzen zwischen den Nutzenschätzungen (z.B. Leigh, MacKay & Summers, 1981) und der Validität (z.B. Green, Goldberg & Wiley, 1982) beider Verfahren feststellen konnten, zeigten sich in anderen Studien (z.B. Baalbaki & Malhotra, 1995; Srinivasan & Park, 1997) hohe Zusammenhänge. Die Diskrepanzen zwischen den Befunden dürften zum großen Teil auf die bereits angesprochene Heterogenität kompositioneller und dekompositioneller Ansätze zurückzuführen sein. Eine systematische Überprüfung verschiedener Varianten im Rahmen umfangreicher empirischer Studien oder Metaanalysen fehlt bislang.